Das Wachstum an den Aktienmärkten wird allgemein solide bleiben, aber das Tempo des Anstiegs hat seinen Höhepunkt erreicht. Auch die Erwartungen an den Gewinn pro Aktie befinden sich auf einem Höchststand. Unter den derzeitigen Umständen ist mit einer Pause an den Märkten zu rechnen, insbesondere im August und September, die traditionell die schwierigsten Monate darstellen. Zunehmende Unsicherheit wird zu einem volatileren Marktverhalten führen. Die Zentralbanken werden weiterhin unterstützend wirken und ihre Absichten sehr genau zu beobachten sein.
Alles in allem sprechen mittelfristig dennoch die meisten Faktoren für Aktien. Jeder Rücksetzer sollte als Kaufgelegenheit betrachtet werden. Aufgrund des Aufholpotenzials und der höheren Sensibilität gegenüber dem globalen industriellen Wachstum ziehen wir Europa nach wie vor den USA vor. Value- und Dividenden-Titel sowie Small-Caps sind positiv auf die Story der Zinsentwicklung ausgerichtet. Sie haben ihre Outperformance in letzter Zeit als Reaktion auf den Rückgang der Anleihenrenditen wieder abgegeben. Da letztere von ihrem derzeitigen Tiefpunkt aus steigen dürften, was durch Inflationserwartungen und Realrenditen unterstützt wird, rechnen wir mit einer weiteren Outperformance dieser Anlagestile. Im aktuellen Umfeld erzielen Banken und Versicherungen in der Regel eine Outperformance. Bond Proxies, also Aktien mit anleihenähnlichem Charakter, sollten demgegenüber bestenfalls gemieden werden.
Mittelfristig rechnen wir weiterhin mit einer Outperformance des Wachstumsstils, wenn das Wirtschaftswachstum nachlässt, die Anleihenrenditen steigen und Einkaufsmanagerindizes unter Druck geraten. Ein Barbell-Ansatz ist also nach wie vor sehr attraktiv.
Die Renditen von US-Anleihen sind von ihren Höchstständen zuletzt auf ein Niveau gefallen, das seit Anfang Februar nicht mehr gesehen wurde. Die Aktienmärkte bewegen sich weiterhin auf Rekordständen. Gleichzeitig ist die Volatilität angestiegen. Die Saison für die Quartalsergebnisse ist in vollem Gange, und einiges deutet darauf hin, dass die Unternehmen ihre Umsätze und Gewinnspannen übertreffen und/oder ihre Prognosen anheben müssen, um vom Markt honoriert zu werden. „Haben wir den Großteil der Marktgewinne bereits gesehen?“ ist eine berechtigte Frage, die man sich in diesen Tagen stellen kann.
Eine Schlüsselgröße, die es zu beachten gilt, ist der Einkaufsmanagerindex (PMI). Er ist der beste Gradmesser für die Wirtschaft, da er ein Frühindikator für das erwartete vierteljährliche Sozialprodukt ist. Es ist wichtig, Aktien zu kaufen, wenn der PMI einen Tiefpunkt erreicht hat und wieder ansteigt. Dieser Wendepunkt trat im November letzten Jahres ein, begünstigt durch die Nachrichten über Impfungen und die Aussicht auf rekordhohe fiskalische Unterstützungsmaßnahmen, insbesondere in den USA. Die Erwartung eines rauschenden Wiederauflebens der Märkte beherrschte die Schlagzeilen, und die Wette auf Reflationierung setzte ein.
Heute befindet sich der PMI auf einem 20-Jahres-Hoch. Das globale Wirtschaftswachstum hat vermutlich im zweiten Quartal einen Höhepunkt erreicht. Der Motor läuft bereits seit zwei Quartalen auf Hochtouren. Bei globalen PMI-Werten über 50 schneiden Aktien in der Regel besser ab als Anleihen. Eine Abkühlungsphase könnte unmittelbar bevorstehen. Das Tempo, mit dem Aktien besser abschneiden, wird sich daher verringern. Da das Wachstum aber immer noch niedriger ist als vor der Covid-Krise, befindet sich noch immer ‚Treibstoff im Tank‘.
Die Aktienrisikoprämien, insbesondere in Europa, sind weiterhin auf einem Niveau, das nicht mit einem Bärenmarkt vereinbar ist. Sie deuten darauf hin, dass Europa die USA in Zukunft übertreffen dürfte. Es gibt Elemente, die den Aufschwung in den USA bremsen können, wie eine allmählich nachlassende Wirkung der fiskalischen Anreize und ein Rückzug des Konsums aufgrund der Ausbreitung der Delta-Virusvariante. Anders als in den USA, wo jeder Bürger eine Geldzahlung erhielt - auch diejenigen, die sie nicht benötigten -, zielen die Maßnahmen in Europa hauptsächlich darauf ab, das verfügbare Einkommen der von der Pandemie betroffenen Haushalte zu sichern. Die europäische Unterstützung wird deshalb eine nachhaltigere Wirkung haben. Und die Wirkung des EU-Konjunkturpakets wird sich erst noch zeigen. Das Wachstum wird stark bleiben, sein Tempo sich aber von nun an abschwächen, wie der Rückgang der Anleihenrenditen und der Inflationserwartungen zeigt.
Anleihen waren überverkauft, die Renditen sind aufgrund von Marktspitzen und Wachstumssorgen im Zusammenhang mit dem Risiko der Delta-Variante stark zurückgegangen. Sie sind noch nicht zum fairen Wert bewertet, da das Gesamtbild höhere Renditen begünstigt. Der Inflationsdruck und die Wirtschaftstätigkeit sind mit höheren Renditen vereinbar. Ist zu erwarten, dass sie viel höher ausfallen werden? Nein. Die Zentralbanken treten weiterhin auf die Bremse und sind nach wie vor sehr zurückhaltend. Die Finanzierungskonditionen bleiben niedrig, mit engen Kreditspreads und Realzinsen, die zu gering sind, um für eine Dynamik am Ende des Zyklus geeignet zu sein. Weder die fiskal- noch die geldpolitische Unterstützung wird schneller zurückgenommen, als es gerechtfertigt wäre. Da die Erholung jedoch voranschreitet und die Volkswirtschaften sich auf einen selbsttragenden Pfad begeben, ist es nur natürlich, dass die politischen Entscheidungsträger beginnen, über Ausstiegsstrategien nachzudenken. Die Aktienmärkte werden dies in Form niedrigerer Bewertungen proaktiv einpreisen.
Die Bewertung ist ein weiterer kritischer Punkt. Die Aktienbewertungen sind nicht günstig und berücksichtigen bereits viel Hoffnung. Da der Höhepunkt des Wachstums hinter uns liegt, ist davon auszugehen, dass die Bewertungen mit höheren Unternehmensgewinnen nicht steigen werden. Auch höhere Realzinsen und eine restriktivere Haltung der Zentralbanken würden die Multiplikatoren unter Druck setzen. Die Gewinnsaison für das zweite Quartal hat stark begonnen, allerdings die Rekordwerte des ersten Quartals nicht erreicht. Seit Jahresbeginn sind die Gewinnrevisionen um 15 % angestiegen (+6 % im ersten Quartal). Insbesondere in Europa sind die Erwartungen der Analysten auf einem Rekordhoch. Während sich die Gewinnsaison für das 2. Quartal auf halbem Weg befindet, deuten die aktualisierten Prognosen auf ein schwierigeres zweites Halbjahr aufgrund von Unterbrechungen der Lieferketten und höheren Rohstoffpreisen hin. Es ist eine Geschichte des Reisens und Ankommens geworden.
Höchstwahrscheinlich wird sich der Zyklus der Gewinnrevisionen von nun an verlangsamen. Produzenten sind voll ausgelastet, stoßen aber aufgrund geringer Lagerbestände und eines Mangels an qualifizierten Arbeitskräften an ihre Grenzen. Sie können die starke Nachfrage nicht bedienen. Um ihre Gewinnmargen zu schützen, müssen sie in eine verbesserte Effizienz investieren. Daher sind die Absichten für Investitionsausgaben nach wie vor hoch. Sie werden ein entscheidender Faktor für die positive Entwicklung von Industrietiteln sein. Die Technologiebranche ist weniger mit dem makroökonomischen Bild verbunden, sollte aber eine strukturelle Outperformance erzielen. Europa ist stark mit der weltweiten industriellen Erholung verbunden. Die nächste Etappe des Aufschwungs muss jedoch von den Verbrauchern ausgehen - mit der Bereitschaft, sich voll auf das Dienstleistungsgeschäft einzulassen.
Johan Van Geeteruyen, CIO Fundamental Equity bei DPAM